Unsere Kirche hat eine neue Glocke
Bei dem Paket müssen Sie mit anfassen! Haben Sie da Bremsscheiben bestellt?“ Nein, es waren keine Autoteile, die die Post nach Schrapfendorf liefern musste. In dem 30 kg schweren Paket befand sich eine Glocke. Eric Deisenroth hatte seinen Lohn für das sonntägliche Orgelspiel sorgsam angespart. Als er bei Ebay sah, dass eine kleine Kirchenglocke versteigert wurde, erfolgte der Zuschlag auf sein Sparschwein.
Schnellmannshausen hatte nur noch eine Glocke, wie schön wäre es ein Vaterunser-Glöckchen zu bekommen. Nun stand sie da mit kleiner Beule und dem Relief der Madonna. Im Bronzeguss konnte man lesen: EWERHART ERNSTING PROVISOR IN DER // BAVRSCHAFT MENGER HAVSSEN.
Bauernschaft Mengerhausen, wo sollte das sein?
Die Nachfrage beim Glockensachverständigen brachte einen Stein ins Rollen: „Sie dürfen die Glocke nicht einfach aufhängen. So eine Schenkung muss genehmigt werden. Es könnte sich ja um Diebesgut handeln.“ Was nun begann, war eine langwierige Recherche des Sachverständigen bei seinen Kollegen im Land. Das Ergebnis war, dass die Glocke nirgends vermisst und die Genehmigung erteilt wurde.
Schlosser Karl-Heinz Schröter aus Wendehausen fertigte für Gotteslohn einen kleinen Glockenstuhl. Als der Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag 2020 durch die Pandemie auf dem Gottesacker gefeiert wurde, stand das Glöckchen auf dem Friedhof und läutete beim Namen von jedem Verstorbenen. Eigentlich schien alles geklärt.
Doch beinahe wäre dieses Fest gescheitert: Der Glockensachverständige aus Paderborn meldete sich. Zum 100jährigen Jubiläum der Ludgerus-Kapelle in Möhler verfasste Stephan Trostheide eine Festschrift mit der Geschichte der Glocken. Er suchte ausgerechnet unsere Glocke. Sie hing früher in einer Kapelle der Bauernschaft Menninghausen(!) und kam im Krieg nach Möhler. Allerdings beschaffte sich die Gemeinde in Möhler nach Kriegsende neue Glocken; die Kapelle in Menninghausen wurde abgerissen und unsere Glocke aus dem Jahr 1685 geriet in Vergessenheit.
Am Ende stellte niemand Besitzansprüche. Stephan Trostheide war einzig froh, dass die verschollene Glocke aufgetaucht war und sie dem ursprünglichen Zweck wieder dienen soll. Das Glöcklein ruft wieder zum Gebet.
Ich staune immer, welch innige Beziehungen die Menschen mit ihren Glocken haben. Wenn der Klang der Glocken durch das Tal zieht, löst es etwas aus, was sich kaum in Worte fassen lässt. Als Pfarrer denke ich, dass die Glocken vor allem den Zweck haben, die Gläubigen in den Gottesdienst zu rufen. Doch die meisten kommen nicht auf die Idee dem Klang zu folgen. Die Glocken sind eher - wie soll ich sagen - Heimat.
Vielleicht schenken sie das Gefühl, dass es in der Welt doch eine heilige Ordnung gibt. Wie viele erzählen mir, dass sie die Abendglocke als Kind nach Hause zur Mutter gerufen hat. Manche sagen: „Ohne Glocken ist kein Sonntag.“
Als im ersten Lockdown im letzten Jahr eine beängstigende Stille über das Land gezogen war, so läuteten doch jeden Sonntag die Treffurter Glocken. Sie gaben und geben das Zeugnis, dass Gott in der Welt ist. Gott hat uns nicht vergessen und er schenkte diesen wöchentlichen Feiertag.
Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten Tage sollst du ruhen. Und nicht nur du, schreibt die Bibel, auch dein Knecht, dein Vieh, selbst die Fremden, die in deinem Lande wohnen. Der siebente Tag ist der Tag der Freiheit von der Arbeit. Das Volk Israel soll sich daran erinnern, dass sie selbst einmal Sklaven in Ägypten waren. Nun sind sie frei und diese Freiheit gilt allen. Der siebente Tag möge der Gedenktag an die Befreiung sein.
Wenn am Sonntag die Glocken läuten, dann soll nicht nur die Dankbarkeit in uns klingen, dass WIR in der Heimat sind. Sie wollen uns auch erinnern für die Menschen zu beten, die ihre Heimat verlieren, wie in Afghanistan. Für viele, besonders für die Frauen dort, ist die Heimat gerade zum Ort der Angst geworden. Die Glocken am siebenten Tag der Woche läuten der Freiheit wegen. Sie erinnern des Sonntags daran, dass Gott Menschen aus der Sklaverei befreit hat. Die Glocken läuten nicht nur für uns, weil wir hier so friedlich leben. Die Glocken rufen zum Gebet für die Freiheit, dass wir die Unterdrückung und Sklaverei in der Welt nicht hinnehmen. Auch die Fremden sollen frei sein, sagt die Schrift.
Wenn Sie an diesem Sonntag die Glocken hören, dann denken Sie nicht nur daran, dass dies der schöne Klang Ihrer Heimat ist. Denken Sie daran, dass ein jeder Mensch eine Heimat in Freiheit verdient hat. Dafür dürfen Sie getrost beten.
Herzlich Ihr Pfarrer Torsten Schneider
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